Man muss nicht unbedingt die Frage nach dem Warum stellen. Es kann viele Gründe geben, die einen sonst eher das zentrale Europa gewöhnten Menschen dazu bewegen, freiwillig in die Sahara zu reisen.
Neugierde und die ansteckende Faszination für ein ursprüngliches Leben in dieser kargen Umwelt, ausgelöst durch eine eng befreundete Menschenseele und genährt durch die Idee, ein kleines aber wichtiges Projekt der dort lebenden Menschen zu unterstützen, sind für mich die Hauptmotive.
Mein Rucksack steht bereits Tage vor der Abreise halb gepackt an meinem Bett in Berlin und immer wieder gehe ich für mich durch die Dinge, die ich mitnehmen und auf die ich mich beschränken möchte, und am Ende ist der Rucksack prall wie immer. Gastgeschenke inklusive.
Ich werde bei einer Gastfamilie wohnen, die ich nicht kenne, die aber ebenfalls sehr neugierig auf mich ist, wie ich später erfahre. Eine Gastfamilie in der algerischen Wüste inmitten einer Siedlung aus Lehmhütten und Zelten - meine innere Spannung lässt bis zur Abreise nicht mehr nach.
Die Sahara ist eine der faszinierendsten Gegenden der Erde und man wird kaum die Zeit dafür erübrigen können, alle Eigenheiten und Schönheiten dieser lebensfeindlichen Welt für sich zu entdecken. Menschen leben hier schon seit mehreren Tausend Jahren. In der Regel zogen sie als Nomaden mit ihren Tieren von Ort zu Ort, aber an wenigen ausgewählten Punkten wurden sie früh auch seßhaft. Heute gibt es teils große Städte an einigen Oasen und der Tourismus wird groß geschrieben. In Lybien, teilweise in Algerien und besonders in Ägypten. Auch im südöstlichen Marokko, an dessen Ausläufern in die Sahara tummeln sich die Touristen.
Die Wüste sei gut für die Entspannung der Seele, behaupten Reiseveranstalter und sie haben damit nicht Unrecht. Schnell lässt man in der staubigen Weite seine Gedanken hinter sich, um Raum für die neuen Eindrücke zu schaffen. Man verliert einfach das Gefühl für Größe und Dimensionen. Der Raum wirkt endlos, die Weite des Horizonts lässt sich nicht mehr fassen. Überall ist Horizont, außerhalb besiedelten Gebietes zumindest, und bis dahin erstreckt sich der nicht enden wollende Sand. Wellig, manchmal hügelig, ist dabei das Landschaftsprofil. Ein Asphaltband verschwindet am Rande eines Lagers ins Nichts. Schnell zieht man sich auf die innere Reflektion der Welt in der man sich nun bewegt zurück.
Oft befindet sich feiner Sand in der Luft, ohne dass man gleich von einem Sandsturm sprechen könnte. Der Himmel verändert dann seine Farbe, bekommt violette Töne, der leuchtende Ball der Sonne wirkt im Niedersinken matt und milchig und wenn zum Abend der Wind nachlässt und schließlich einschläft, wirkt die Dämmerung bedrückend still. Die Dunkelheit frisst die Weite schließlich gänzlich auf.
Die Wüste bietet Raum für Viele, die Ressourcen für ein gesichertes Überleben allerdings sind sehr rar verteilt. So befinden sich fern des Tourismus und auch fern der öffentlichen Wahrnehmung im westlichen Algerien einige Lager, in denen etwa 170.000 Menschen leben, die vor mehr als 30 Jahren aus ihrer Heimat, der Westsahara, unter dem Eindruck der marokkanischen Besatzung geflohen sind.
Flüchtlingslager in der Sahara. Weitab von aktuellen Bürgerkriegsereignissen wie im Sudan, in Darfour, und abgeschottet in einem abgelegenen Winkel Algeriens, gibt es immer noch die ungeklärte Situation der Besatzung der ehemals spanischen Kolonie Westsahara durch Marokko, seit dessen ungeordneter Räumung durch die Spanier im Jahre 1975. Ein unüberwindbarer Zaun und vermintes Gelände halten die Menschen inzwischen von einer Rückkehr in ihre Heimat ab.
Eines der Lager ist nun für einige Tage mein Ziel. Die Reise selbst verläuft eher unspektakulär. Mit der Bahn von Berlin nach Frankfurt, am Flughafen ein erstes Kennenlernen der Gruppe, mit der ich die Reise gemeinsam bestreite. Dann Check-in und Flug über die Alpen und das Mittelmeer nach Algiers, Einreise nach Algerien, erster Kontakt mit dem afrikanischen Kontinent. Dann das Warten auf den Weiterflug in die Wüste und schließlich Ankunft auf dem kleinen Militärflughafen in Tindouf, Westalgerien.
Mit uns 24 Leuten aus Deutschland, Sportler und Begleiter, ist noch eine kleine Gruppe Südafrikaner und eine größere Gruppe Spanier nach Tindouf gekommen. Inzwischen ist Mitternacht längst vorbei und alle sind gut gelaunt, teilweise müde. Wir drängen uns gemeinsam in der kleinen Ankunftshalle des Flughafens und lassen eine weitere Formalität, eine weitere Kontrolle über uns ergehen.
Die kleine algerische Provinz hier im Westen des Landes hat offenbar eigene Machtbefugnisse, oder ist es einfach nur behördliche Gründlichkeit? Jedenfalls müssen wir hier bereits zum dritten Mal seit der Ankunft in Algiers einen Einreisezettel ausfüllen und wir werden bereits zum sechsten Mal auf Waffen untersucht und ein weiteres Mal wird unser Gepäck durchleuchtet. Meine Diafilme hätte ich auch zuhause lassen können, die sind inzwischen sicherlich verschleiert, vermute ich. Dass sie diese Torturen wider erwarten aber ganz gut überstanden haben, kann man anhand der Fotos hier sehen.
Und in der kleinen Halle, nach Pass- und Gepäckkontrolle, beginnt bereits das Nordafrika, wie es mir bisher durch die Gedanken gegangen ist. Einige Menschen treffe ich hier, mit verschiedenen Haut- und Haarfarben und in teils sehr farbigen Gewändern gekleidet, die entweder auf den Rückflug nach Algiers warten, oder irgendwie an diesem Flugplatz beschäftigt sind. Es ist bereits zwei Uhr in der Nacht ist. Leute schauen uns Ankömmlinge ruhig an und rauchen; sagen nichts. Es riecht trotz des Zigarettenrauchs würzig nach vermutlich Tee. In einer Ecke des Raums ist eine kleine Bar eingerichtet. Ältere Männer tragen weite Umhänge und kunstvoll um den Kopf geschlungene Tücher.
Dieser kleine Außenposten in der algerischen Wüste, die wegen der Dunkelheit noch immer nicht zu sehen, deren warme Nachtluft aber zu spüren ist, erfüllt alle kleinen Klischees, die ich mit mir herumtrage.
Mit zwei bereits anderswo ausrangierten Nahverkehrsbussen, deren Sitzschalen in ihren Halterungen quietschen und in denen die Spuren des Wüstensandes unübersehbar sind, setzen wir unsere Reise noch für etwa eine Stunde fort. Dann kommen wir nach Smara. Die letzten Kilometer vor dem Ort werden die zwei Busse noch mit einem kleinen Miliz-Fahrzeug eskortiert. Das Blaulicht ist dabei eher etwas hinderlich, denn es blendet unseren Busfahrer, aber es gehört offenbar zum Ablauf, denn schließlich sollen alle wissen, dass die Gäste endlich kommen. Wir passieren eine Straßensperre und rollen nach Smara hinein, eine kurze Strecke nur auf der Hauptstraße, dann gleich hinein in das Viertel, in dem neugierige Menschen auf uns warten.
Die Lager bestehen zum größten Teil aus Lehmhütten, dem Material, das sich hier beinahe unbegrenzt unter der festen Sanddecke der Wüste befindet. Überall sieht man neben den kleinen Lehmhäuschen die Löcher und Gruben im Boden, die zur Materialgewinnung genutzt wurden. Manchmal liegt so ein Loch mitten in der Straße, die dadurch an dieser Stelle einen kleinen Schlenker bekommt. Kurven in einer ansonsten geradlinig gezogenen Wohnstraße, die niemanden wirklich stören.
Der Lehm bietet Schutz vor der unbarmherzigen Sonne, die im Sommer Lufttemperaturen von bis zu 50° Celsius hervorbringt, ebenso vor den manchmal sehr sandigen Stürmen. Vor länger anhaltendem Regen schützt der Lehm nicht. So gab es in den letzten Jahren zweimal starke Zerstörungen durch heftige Regenfälle. Ein Umstand, der die Menschen sehr verunsichert.
Die meisten öffentlichen Gebäude und manche Schulen sind inzwischen aus beständigeren Ziegeln gebaut, aber die einfachen Wohnhäuschen werden schnell ein Opfer zu starken Regens.
Eine keineswegs beruhigende Situation, die auch durch vom UNHCR zur Verfügung gestellten Zelten nicht gemildert wird, da diese Zelte von den ursprüchlich meist als Nomaden lebenden Menschen nur widerstrebend akzeptiert werden. Seit etwa 22 Jahren sieht sich das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen in der Verantwortung für die Versorgung hier in den Lagern. Aber dem im Verhältnis recht guten Stand bei der Lebensmittelversorgung ging ein jahrelanges Annähern von Erwartungen oder Verfahrensweisen auf der einen Seite und ein Akzeptieren der nicht sehr geschätzten Abhängigkeit voraus.
Das vermeintlich einfache Verteilen von Trinkwasserrationen in dafür für jede Familie in den Lagern vorgesehene Wassertanks musste mühevoll erarbeitet werden, weil immer wieder die beweglichen Teile der Tanks wie z.B. Armaturen für das Regeln der Wasserentnahme verschwanden, einfach demontiert wurden und von den Leuten anderweitig verwendet oder gar zerstört wurden.
Die Menschen wollten sich nicht so ohne weiteres in eine Rolle als Versorgungsabhängige drängen lassen.
Zu jeder Zeit gab es die Hoffnung, irgendwann wieder in die verlassenen Gebiete zurückkehren zu können. Einen Waffenstillstand mit Marokko gibt es seit 1991 und mehrmals die Zusage, ein Referendum unter UN-Aufsicht durchführen zu können, in dem die Frage nach der völkerrechtlichen Selbstbestimmung der Sahrawis und deren territorialer Anspruch an die Westsahara geklärt werden sollte. Dazu ist es bis heute aus verschiedenen (vermeintlichen) Gründen nicht gekommen. Inzwischen wird die zweite Generation in den Lagern geborener Kinder groß.
Obwohl die Menschen seit mehr als 30 Jahren hier in den Lagern leben, ist das Durschnittsalter auffällig niedrig. Die vielen Kinder fallen einem auf, während Jugendliche weniger häufig zu sehen sind. Viele studieren im spanisch sprechenden Ausland oder in den algerischen Städten.
Die Kinder aber gehen in den Lagern zur Schule, zu 100%, denn es gilt eine allgemeine Schulpflicht. Lehrkräfte und Unterrichtsräume aber sind nur für die unteren sechs Schuljahre vorhanden. Die Familien werden häufig von Frauen gemanaged. Sie sind in ihren bunten Seidenschleiern allgegenwärtig und fallen auf. Männer halten sich eher zurück, manche betreiben eines der wenigen Geschäfte für Lebensmittel, oder eine der vielen kleinen Autowerkstätten in denen der Schrott der gebenden Welt zu Ersatzteillagern umfunktioniert wird.
Sonst ist nicht viel zu tun, in den Lagern, außer zu palavern, Tee zu trinken oder mit teils klapprigen Jeeps durch die Wüste zu fahren und viel Staub aufzuwirbeln. Das Teeritual ist ein wichtiger Bestandteil im Miteinander, zu vielen Anlässen, insbesondere zur Begrüßung von Gästen. Und Gäste kommen häufig. Auch wenn nicht viel los ist, gibt es immer viel zu erzählen. Die Familien sind groß und wohnen im näheren Umkreis beieinander. Was soll man schon machen, außer sich gegenseitig zu besuchen? Besonders wenn Fremde im Lager sind. Solange wir uns in dem Lager aufhalten, lernen wir beinah täglich neue Mitglieder unserer Gastfamilie kennen. Oder sind es eilig herbeigeholte Freunde/Bekannte aus ganz entfernten Ecken des Lagers? Smara wird von etwa 40.000 Menschen bewohnt.
Schwarzer Tee wird in die kleine emailierte Kanne aus Gusseisen gefüllt, etwas Wasser kommt hinzu. Nicht viel, etwa ein Glas voll. Dann wird die Kanne auf die Glut des eigens in den Raum gebrachten kleinen Ofens gestellt und seitlich Luft zugefächelt, um die Glut anzuheizen. Lang' dauert es nicht, bis das Wasser kocht.
Der Sud in der Kanne bekommt dann Gelegenheit, für einige Minuten in Ruhe in der Wärme der Glut zu ziehen. Dann wird mit langsam ausholender und präzise zielender Handbewegung etwas Tee in eines der Gläser gefüllt - der Tee sieht kräftig golden aus - und zurück in die Kanne geschüttet. Aus der mitgebrachten Zuckerdose wird nun mit einer kleinen Schaufel, ein aus Pappe gebogener Scheffel tut es auch, richtig viel Zucker in die Kanne gegeben. Mit einem Esslöffel müsste man vielleicht viermal zulangen. Oder fünfmal? Dann kommt noch mehr Wasser dazu, soviel, dass der fertige Tee für die Gläser auf dem kleinen, metallenen Tischchen reicht.
Das Wasser wird wieder erhitzt, der Tee mit dem vielen Zucker aber nicht zum Sieden gebracht. Ist das Wasser heiß genug, beginnt das Spiel mit der Kanne, dem Tee und den Gläsern. Zunächst wird mit kunstvollem Schwung jedes Glas zur Hälfte mit dem noch etwas hellen Tee gefüllt - und der Tee zurück in die Kanne gegossen. Wieder wird ein Glas gefüllt - und der Tee zurück in die Kanne geschüttet. Dies wiederholt sich mehrmals. Es ist die Aufgabe des Teezubereiters, und nicht jeder wird für diese Funktion auserwählt, für einen angenehmen optischen Eindruck zu sorgen, wie auch für einen angenehmen Geschmack. Der Weg dorthin erscheint dem Nicht-Beduinen undurchsichtig. Irgendwann wird der Tee von Glas zu Glas geschüttet, inzwischen bildet sich Schaum an der Oberfläche. Das Glas selten randvoll.
Irgendwann hat der Schaum die richtige Konsistenz und der Tee die richtige Farbe. Jetzt wird er ausgeschenkt und die Gläser, die von dem vielen Umfüllen des süßen Getränks etwas klebrig geworden sind, an die Gäste verteilt.
Was soll ich sagen? Schwarzer Tee lässt sich durchaus auf einfachere Weise zubereiten. Einen solch vielschichtigen Geschmack aber, der sich erst mit der Zeit über Zunge und Gaumen ausbreitet und schließlich die Lippen mit einbezieht, eine solch beruhigende Süße die gegen die aufkommmende Bitterkeit wirkt und die geschmackliche Übermacht hält, habe ich vorher noch nicht erfahren. Wenige Schlucke sind aber auch ausreichend, an dem Tee trinkt man sich nicht satt.
Es geht ja bei dem Ritual ja auch nicht um den Tee an sich, sondern um eine möglichst lange Zubereitungszeit und um die Kommunikation. Eigentlich zu jeder Tageszeit.
Wir sind für ein paar Tage in dem Lager die Attraktion. Natürlich ist die Abwechslung willkommen. Am Sonntagmorgen machen wir uns mit dem Sonnenaufgang auf den Weg zu ein paar Kilometern Laufen, Beine ausschütteln, fühlen, wie es sich so in der Wüste läuft. Ziel der Reise ist ja auch die Teilnahme am Sahara-Marathon einen Tag später. Früh am Morgen ist das Lager noch voller Stille, die Luft ist kühl und die Sonne hat es schwer, bei ihrem verhältnismäßig tiefen Stand Ende Februar, durch die staubige Atmosphäre zu dringen. Entsprechend trübe bleibt das Licht, bis die Sonne nach einiger Zeit hoch genug steht. Viele Kinder sind zu dieser Zeit schon auf dem Weg zur Schule, die hier auch am Sonntag besucht wird. Wöchentlicher Feiertag ist im Islam der Freitag, nicht der Sonntag.
Etwa zwei Stunden später sind schon wieder genügend Geländefahrzeuge unterwegs, um die Luft auch bis zum nächsten Tag weiterhin staubig zu halten.
Das ist ein echtes Problem, denn die Lebensbedingungen hier werden durch den beinah ungeregelten Autoverkehr künstlich verschlechtert. Jede Bewegung auf den Pisten wirbelt den feinen Staub auf, der vom ständigen Wind in Bewegung gehalten wird. Asphaltierte Straßen gibt es nicht. Lediglich die Verbindungsstraße zum etwa 80 Kilometer entfernten Tindouf ist bis an den zentralen Anlaufpunkt des Lagers heran aphaltiert. Das 'El Protocollo' ist Versammlungs- und Gästegebäude in Smara und Der zentrale Treffpunkt. Hier bekommen wir später auch unsere Startnummern und am Nachmittag eine Reihe von Verhaltensregeln für den morgigen 8. Sahara-Marathon.
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