Es gibt viele Wege in die Sahara. Einer davon führt über Madrid und Tindouf in die Flüchtlingslager der Saharaui zum Saharamarathon. Das Umsteigen in Madrid ist schon eine spannende Geschichte für sich, trifft man doch am Check-in auf Sportler und schräge Vögel aus allen Ecken Spaniens, wie auch aus anderen Gegenden der Welt. In diesem Jahr stehen aufgrund des zehnjährigen Jubiläums des Laufs sogar zwei dicht aufeinader folgende Flüge ab Madrid via Algier zur Verfügung. Das Interesse für das beinah vergessene Volk in der Wüste ist offenbar größer geworden.
Der Check-in bleibt trotzdem sehr entspannt, als ich mit etwas Verspätung von Berlin her dort eintreffe. Auch der von hier aus dann startende Flug der Air Algérie hat Verspätung und so kann sich die Prozedur entsprechend viel Zeit lassen. Ich lerne in aller Ruhe ein paar Mitreisende kennen und sehe alte Bekannte wieder. Es gibt offenbar mehr Menschen, die sich für die Situation der Saharaui interessieren und die all die Unanehmlichkeiten, die eine Reise in die Lager mit ihren einfachen Unterkünften und den nicht unproblematischen hygienischen Rahmenbedingungen mit sich bringt, auch mehrmals auf sich nehmen. Für mich ist es ja auch bereits die dritte Reise und ich bin voller Vorfreude auf das Wiedersehen mit den Leuten der Familie, bei denen ich schon zweimal zu Gast gewesen bin.
Der Flug wird weiter verschoben, längst wird es draußen dunkel und die Hoffnung, von der Wüste auch einmal etwas bei Tageslicht sehen zu können, ist inzwischen völlig geschwunden. Aber irgendwann geht es dann doch los und der Flug über das Mittelmeer bis nach Algier und nach kurzer Pause für weiter über die nächtliche Wüste verläuft ruhig.
In Tindouf hat sich am Flughafen nichts verändert. Einer der entferntesten Orte, die man sich im zentralen Europa so vorstellen kann, ist für mich im Laufe zweier Jahre zu einer Art von traditionellem Anlaufpunkt in die Sahara geworden. Die Prozedur des sich mit dem kleinen auf dünne Pappe gedrucktem Einreiseformular anmeldens, ist Teil dieser Tradition und die Abfertigung in der nächtlichen Kälte, an den mit ebenfalls kaltem Licht aus unverkleideten Leuchtstoffröhren erleuchteten Amtstkabinen läuft wie eingespielt. Als hätten die Beamten, von denen ich zwei Gesichter wiederzu erkennen glaube, lange schon auf die rund 260 Leute aus Madrid gewartet.
Es ist ja lange schon tiefe Nacht, als wir ankommen und der Wind, der um das kleine Gebäude am Flughafen zieht ist kühl und böig. Winter in der Wüste eben, aber selbst sommerliche Nächte können hier kühl sein. Diesmal habe ich ein Kopftuch im Handgepäck dabei, dass eine mögliche Erkältung während des Wartens vor dem Einreiseschalter verhindert.
Schließlich aber sitzen wir alle sehr schnell in den bereits am Flughafen wartenden Bussen. Das Gepäck wurde bereits kontrolliert, während noch die Passkontrollen gelaufen sind. Anschließend rollen wir wieder einmal im Konvoi durch die Nacht in Richtung Smara. Die Busse sind zwar alt und wurden in irgendeinem anderen Land der Welt längst ausgemustert. Dennoch sind sie in teils gutem vor allem in einem funktionierenden Zustand. Der Bus aber, in dem ich sitze, nur für kurze Zeit, denn der Fahrer bekommt irgendein Problem dem Getriebe des Fahrzeugs und legt kurz hinter den Lichtern von Tindouf ersteinmal eine Pause ein. Der Konvoi scheint aber zu warten, denn trotz der Pause hängen wir irgendwann wieder an den anderen dran.
Bei der Ankunft der mehr als 250 Menschen gegen etwa 1 Uhr in der Nacht in einem Lager ohne Elektrizität ist gute Organisation und Improvisation gefragt, um die Leute auf die auf sie wartenden Familien zu verteilen. Ein Generator und ein Scheinwerfer stehen beim Eintreffen zur Verfügung.
Das monotone Gedröhn des Aggregats hallt weit durch dei Nacht, nachdem die Busse den Platz vor dem Daira wieder verlassen haben und auch der Gepäcktransporter seinen Motor gestoppt hat. Das Organisationsteam hat sich über Jahre gut eingespielt, das Gepäck ist schnell von dem LKW herunter geladen.
Ich bin mit meinen drei Begleitern relativ früh an der Reihe, was das Aufrufen unserer Gastgeberin betrifft, und schon bald spaziere ich mit einem Münchener, einem Hamburger und einem Sportsfreund aus Constanza in Rumänien hinter der Chefin unserer Familie in die Nacht und zu dem nicht sehr weit von dem Daira, dem zentralen Verwaltungsgebäude des Bezirks Chdería, einem von sieben Verwaltungseinheiten in Smara, entfernt gelegenen Zelt der Familie.
Dieses Lauf-Event in der westlichen Sahara nahe dem algerischen Tindouf geht in diesem Jahr in seiner zehnten Auflage unter dem Motto "35 years waiting to go home, 10 years running to reach the sea" über die Bühne des sandigen, steinigen Wüstenbodens. Die Marathonstrecke verbindet dabei die drei Flüchtlingslager Layyoun, Aoserd und Smara, in denen viele zehntausend Menschen seit 35 Jahren darauf warten, frei in ihre durch Marokko besetzte Heimat zurückgehen zu können.
Der Marathon und Teilstrecken von 21,1 km, 10 km und 5 km wird in der letzten Woche des Februars nun also schon zum zehnten Mal als ein Solidaritätslauf für die hier in den drei Lagern und dem etwas weiter entfernt gelegenen Dajla unter nur schwer akzeptablen Bedingungen ausharrenden Saharaui organisiert.
10 Jahre laufen, "um die See zu erreichen", über 10 Jahre hinweg immer wieder mit international ausgerichteten Sportevents Aufmerksamkeit erzeugen und den Menschen in der Wüste Mut machen. Was die wenigen Organisatoren hier jedes Jahr bei einem Minimum an vorhandener Infrastruktur auf die Beine stellen, hat mich sehr beeindruckt und anfangs hätte ich es mir sicherlich nicht träumen lassen, hier bereits zum dritten Mal dabei zu sein. Diesmal für die Halbmarathon-Distanz.
Diese Teilstrecke startet in Aoserd und führt durch zunächst hügeliges Gelände, über Dünen und über Geröllhalden, später wieder über flache, endlos scheinende Wüste bis nach Smara und noch etwa vier km um das Lager herum. Die Strecke ist nicht sehr spektakulär, der sandige Boden ist weitgehend gut belaufbar, aber die Randbedingungen, die hohe Lufttemperatur von mehr als 35 Grad, die hochstehende Sonne, die hauptsächlich von vorne den Läufern ins Gesicht lacht und der stete, trockene Wind aus verschiedenen Richtungen, sind eine dauernde, zusätzliche Belastung.
Entlang der Strecke sind aber genügend Verpflegungspunkte eingerichtet, an denen Wasser und später auch Datteln angeboten werden. Ständig ist eines der vielen Begleitfahrzeuge in Sichtweite, so dass bei Bedarf auch schnell medizinische Hilfe zur Verfügung steht. Zwei Ärzteteams begleiten die ca. 450 für eine Woche aus aller Welt in die Wüste gereisten Sportler.
Für diese eine Woche vor Ort ist man Gast in einem der sieben Bezirke des Lagers, wird von einer Familie aufgenommen und untergebracht, wird bekocht und behütet - im wahrsten Sinne des Wortes. Das Verantwortungsgefühl für den Gast ist sehr groß. Eine wie auch immer geartete touristische Infrastruktur gibt es in den Lagern natürlich nicht, das lässt die Situation ja gar nicht zu, auch wenn sie schon weit länger als eine Generation besteht.
Der erste Kontakt mit dieser abgeschirmten Welt mag dann vielleicht auch etwas schockierend wirken, aber die Eindrücke der harten Lebensbedingungen, die sich ja im Lauf der Jahrzehnte durchaus auch leicht verbessert haben, werden wettgemacht mit der Herzlichkeit und Offenheit, mit der man hier aufgenommen wird. Das Ereignis hat gesellschaftliche Tragweite, weitläufige Verwandte der Familie kommen, um sich nach dem Gast zu erkundigen und vielleicht mit ihm Tee zu trinken. Der stark gesüßte grüne Tee mit einem Schlag Minze, der nach Art der Saharaui bei jeder Gelegenheit zelebriert wird, könnte bei dem Zuckergehalt dann auch durchaus als alleinige Energiequelle für einen Ausdauersportler dienen. Nach den paar Tagen im Lager hat man sich daran aber gewöhnt.
Der Lauf selbst wird bei den vielen Gedanken und Gefühlen, die einen plötzlich bewegen, bei den kleinen Überraschungen im täglichen Miteinander, beinah zur Nebensache.
Am Lauftag werden die Läufer mit Bussen zum jeweiligen Startort gebracht, die ihrer ursprünglichen Bestimmung im Nahverkehr irgendeiner europäischen Metropole schon lange nicht mehr genügen können, die ihre Kilometerleistung lange schon hinter sich haben und als Spende irgendwann hierher gekommen sind. Mal fehlt eine Tür, deren Öffnung notdürftig mit Blech abgedeckt wurde, mal fehlt ein komplettes Fenster, das durch Plane oder mit einem passenden Kunststoffteil ersetzt wurde, Sitze fallen auseinander oder fehlen ganz. Manchmal fehlt die komplette Motorabdeckung. Aber die Motoren sind offenbar das letzte, das in diesen Fahrzeugen den Geist aufgibt und so sind die alten Busse wichtiges Transportmittel zwischen den Lagern.
Zum Marathonstart in Layyoun fährt man in Smara um 7:00 Uhr noch bei Dunkelheit los, zum Halbmarathon erst um 8:30 Uhr. Da bleibt dann noch etwas Zeit für ein einfaches Frühstück mit schlichtem Weissbrot und Feigenmarmelade. Start des Marathons ist für 9:30 Uhr angesetzt, der Halbe beginnt eine Stunde später, aber was beginnt in der Wüste schon pünktlich? Dabei sind die zehn Minuten Verzögerung für die Marathonis noch moderat, die halbe Stunde beim Halbmarathon aber schon bissig, denn man muss die halbe Stunde erstmal länger in der Sonne stehen.
Das zahlreiche Publikum am Start ist aber genauso geduldig wie die vielen anderen Zuschauer entlang der Strecke in den Lagern. Zwischen den Lagern wartet allerdings niemand, abgesehen von den Verpflegungspunkten. Man hat die Weite der endlos ausgedehnten Sand- und Geröllfläche beinah nur für sich. Und wohin man schaut, der Horizont umschliesst einen auf 360 Grad. Es gibt keinen Anfang, kein Ende.
Verlorener kann man sich auf festem Boden kaum fühlen. Man könnte schlicht überall hinlaufen. Mit weissen Pfosten im Sand als Markierung, im Abstand von einigen hundert Metern gesetzt, aber bleibt man auf der Strecke.
Smara sieht man dann schon aus etwas grösserer Entfernung aufgrund der Funkmasten die dort in den letzten Jahren im Zentrum gebaut wurden. Nach den vielen einsamen Kilometern trifft man hier kurz vor dem Ziel wieder auf Zuschauer, die einen anfeuern, die wissen wollen, wie es einem geht. Die Frauen machen dabei ein unvergessliches und unbeschreibliches Gekreische, dass sie mit schnell bewegter Zunge modulieren und das so typisch für die Saharaui ist. Bei festlichen Anlässen, wie der Siegerehrung am Tag nach dem Lauf gehört es genauso dazu, wie hier beim Lauf selbst. Schließlich Zieleinlauf, Zeitnahme von Hand, Medaille umhängen und endlich wieder etwas Schatten finden und entspannen.
Inzwischen habe ich hier so etwas wie Routine und doch ist es jedesmal anders. Das Ziel liegt in diesem Jahr an einer Sportschule mit kleinem Vielzweck-Sportplatz für Volleyball, Basketball und Fussball im kleinen Masstab. Diese Anlage wurde in den letzten zwei Jahren aus Mitteln geschaffen, die durch den Marathon gesammelt werden konnten. Der Teilnahmebeitrag für das Event beinhaltet immer auch einen Spendenanteil, der direkt für sportliche Einrichtungen vor Ort eingesetzt wird. Ein Punkt, der von Flüchtlingshilfeorganisationen sonst nicht geleistet werden kann, der aber wichtig für die soziale Entwicklung von Jugendlichen ist. So profitieren die Menschen hier auf verschiedene Weise von dem Marathon, der sicherlich im kommenden Jahr in die elfte Runde gehen wird, falls in der Zwischenzeit nicht bereits eine Lösung des 35 Jahre dauernden Konflikts gefunden sein sollte.
Weitere Fotos aus der Sahara
Akustische Eindrücke von der Reise (unvollständig)
Kurzer Bericht über den 8. Sahara-Marathon 2008
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